Aufschieben, Vergesslichkeit, Reizbarkeit und Angst gehören zum normalen menschlichen Leben. Doch für Menschen mit ADHS sind dies alltägliche Herausforderungen. Für sie ist es nahezu unmöglich, sich einfach „zusammenzureißen“ und „aufzuhören, faul zu sein“. Selbst einfachste Aufgaben kosten übermäßige Anstrengung — das ist schwer zu verstehen, wenn man selbst kein ADHS hat. Besonders Frauen haben Schwierigkeiten, eine Diagnose und geeignete Behandlung zu erhalten.
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist stigmatisiert und wird selten thematisiert, obwohl mehr als 9 % der Kinder im Alter von 3 bis 17 Jahren in den USA diagnostiziert wurden. Immer noch bringen viele Menschen ADHS mit kleinen Jungen in Verbindung, die laut, zappelig und unaufmerksam sind. Doch inzwischen wissen wir: Dahinter steckt viel mehr. In den letzten Jahren hat sich in der Wissenschaft langsam die Erkenntnis durchgesetzt, dass Mädchen und Frauen genauso häufig betroffen sind wie Männer – sie werden jedoch weniger als halb so oft diagnostiziert.
ADHS, die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, ist eine chronische psychische Erkrankung, die verschiedene Prozesse im Gehirn beeinflusst. Lange Zeit galt sie als kindliche Entwicklungsstörung, aus der man „herauswächst“, und als Problem vor allem überaktiver Jungen. Neue Forschungen zeigen, dass die Symptome zwar mit dem Alter abnehmen können, aber bei beiden Geschlechtern auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben – sie äußern sich lediglich unterschiedlich.
Der Name der Erkrankung hat zwei Bestandteile – Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität; diese wurden früher als separate Kategorien betrachtet. Die Bezeichnung Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) ist heute veraltet und beschreibt eigentlich den unaufmerksamen Typ von ADHS.
Die moderne Medizin unterscheidet drei Typen von ADHS:
Betroffene zeigen meist Symptome aus beiden Spektren, jedoch dominiert oft ein Typ – hyperaktiv oder unaufmerksam – das individuelle Erleben und Verhalten.
Der hyperaktive Typ ist geprägt von einem ständigen Bewegungsdrang und Impulsivität. Betroffene unterbrechen Gespräche, beenden die Sätze anderer, sprechen mehr, als die Umgebung verarbeiten kann, brauchen viel Bewegung, sind unruhig und können nicht stillsitzen. Das ist der auffälligere Typ, den viele mit Jungen und Männern assoziieren.
Der unaufmerksame Typ von ADHS führt ebenso zu Konzentrationsschwierigkeiten, äußert sich aber in einer geringen Merkfähigkeit für Gespräche oder Anweisungen. Die Betroffenen wirken „abwesend“, sind vergesslich und verlieren häufig Dinge. Sie haben Probleme mit Zeitmanagement und Routinen – bei kleinen wie großen Aufgaben. Dieser Typ ist bei Mädchen und Frauen viel häufiger ausgeprägt.
Die Folgen sind für beide Typen sehr ähnlich: Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, Gespräche zu führen oder Routinen zu bewahren, und für bestimmte Aufgaben wird mehr Energie benötigt, als andere es nachvollziehen können.
Die Unterscheidung zwischen hyperaktivem und unaufmerksamem ADHS dient der Kategorisierung der Symptome, was vor allem für die Behandlung wichtig sein kann. Die zugrundeliegenden Denkprozesse ähneln sich oft jedoch sehr.
Wie wir unsere Gedanken und Emotionen ausdrücken, hängt von unserer Persönlichkeit, unserer Erziehung und den kulturellen Normen ab – das gilt für alle, auch bei ADHS.
Eine Person kann Gefühle wie Ärger laut und sichtbar zeigen, während eine stille Person innerlich genauso wütend ist, es nur nicht offen zeigen kann. Ähnlich kann Vielredsamkeit oder Impulsivität Vergesslichkeit und Unsicherheit verdecken.
Zu den häufigsten ADHS-Symptomen bei Frauen gehören:
Die genauen Ursachen von ADHS sind noch ungeklärt, aber Forschungen laufen weiter. Es gibt eine gut belegte genetische Komponente.
Zeigt ein Elternteil Anzeichen von ADHS, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Veranlagung an die Kinder weitergegeben wird. Die genetischen Hinweise wirken oft in beide Richtungen. Viele Erwachsene, insbesondere Frauen, erkennen ihre eigenen Symptome erst, nachdem bei ihren Kindern ADHS festgestellt wurde.
Wer genetisch für ADHS anfällig ist, kann durch verschiedene Faktoren eine Verstärkung der Symptome erleben, zum Beispiel:
Ungünstige Gewohnheiten können für Betroffene einen Teufelskreis bedeuten: In Unordnung leben, sich unausgewogen ernähren oder ständig Fristen verpassen – all das verstärkt die Symptome. Gleichzeitig macht ADHS es schwer, positiv gegenzusteuern.
Das ist kein Zeichen von Faulheit. Es gibt strukturelle Unterschiede im Gehirn von Menschen mit ADHS. Sie müssen deshalb mit anderen Voraussetzungen zurechtkommen als neurotypische Menschen.
ADHS ist ein breit gefasster Zustand. Es gibt viele Ausprägungen, doch einige Gemeinsamkeiten sind erkennbar.
Neurologische Forschungen zeigen, dass bestimmte Gehirnbereiche bei ADHS anders oder unterschiedlich schnell reifen als bei neurotypischen Menschen, und auch die Verbindungen untereinander weichen ab.
Die für „normale“ Gehirnfunktion verantwortlichen Neurotransmitter sind bei ADHS-Betroffenen „dysreguliert“. Einfach gesagt: Die Botschaften zwischen verschiedenen Arealen werden nicht immer effektiv übertragen.
Die beiden wichtigsten gestörten Botenstoffe im ADHS-Gehirn sind Dopamin und Noradrenalin. Sie beeinflussen Stimmung und Motivation. Je nachdem, wie viel davon gebildet und verarbeitet wird, kann eine Person entweder hyperaktiv und hyperfokussiert oder völlig antriebslos sein. Beide Extreme sind typisch für ADHS. Auch das Zeitgefühl ist oft verzerrt.
Obwohl klar ist, dass ADHS-Gehirne anders funktionieren als neurotypische Gehirne, weiß man noch nicht genau, warum das so ist.
Ärztinnen und Ärzte stützen sich bei der ADHS-Diagnose meist auf Leitlinien, die fast 40 Jahre alt sind. Es gibt Checklisten, die ursprünglich für weiße Jungen aus vergleichbaren Gesellschaftsschichten entwickelt wurden. Erst langsam werden die Kriterien angepasst, doch das geht zu langsam.
Da die Hauptsymptome von ADHS – Vergesslichkeit, Antriebslosigkeit, Aufschieben – scheinbar normale menschliche Verhaltensweisen sind, werden nur wenige Patientinnen zur weiteren Abklärung überwiesen. Häufig werden Betroffene als faul und wenig zuverlässig abgestempelt und erleben Stigmatisierung in Schule und Beruf.
Lange Zeit galt ADHS überwiegend als „Jungenstörung“ – diese Vorstellung hält sich bis heute. In den USA werden etwa 13 % der Jungen, aber nur 6 % der Mädchen diagnostiziert. Heute weiß man: Fast genauso viele Mädchen und Frauen leiden unter ADHS wie Jungen und Männer, die Anzeichen werden jedoch bei Frauen häufig übersehen. Es gibt mehrere Gründe dafür:
Bei Frauen zeigt sich ADHS viel öfter als unaufmerksamer Typ. Mädchen sind oft verträumt, merken sich Informationen schlecht und haben Probleme mit der Zeiteinteilung – aber sie „springen“ nicht auffällig herum. Ihre Schwierigkeiten fallen Erwachsenen meist weniger auf, sind aber nicht weniger real.
Frauen werden von klein auf dazu erzogen, negative Emotionen nicht offen zu zeigen. Anstatt sich bemerkbar zu machen, neigen Frauen dazu, ihre Probleme zu verstecken. Mädchen wird das Unterbrechen von Gesprächen schnell abgewöhnt. Sie lernen früh, sich anzupassen, und werden darin erstaunlich geschickt – oft merkt niemand, wie sehr sie kämpfen.
Maskieren nennt man dieses Verhalten, sich an die Erwartungen anderer anzupassen und die eigenen Schwierigkeiten zu überspielen. Frauen sind besonders starkem Anpassungsdruck ausgesetzt. Sie tun dies oft so gut, dass ihr Umfeld nichts von ihrem inneren Kampf ahnt – auch bei ADHS.
Und Frauen stecken in der doppelten Falle: Selbst wenn sie über ihre Beschwerden berichten, werden sie seltener für weitere Diagnostik überwiesen.
Unaufmerksamkeit, Impulsivität oder Vergesslichkeit werden bei Frauen leider noch immer viel zu oft als „normal“ angesehen. Diese Symptome werden fälschlicherweise häufig dem PMS zugeschrieben, obwohl bei vollständiger Abklärung oftmals ADHS dahintersteckt – eine behandelbare Erkrankung.
Stimmungsschwankungen und Gehirnnebel sind normale menschliche Erfahrungen und können hormonell bedingt sein, aber auch auf Erkrankungen hinweisen – sie sollten ernst genommen werden.
Negative Gefühle von Frauen wie Wut und Frust werden oft weniger ernst genommen als bei Männern.
Angst und Depressionen gehen bei Frauen und Mädchen mit ADHS oft Hand in Hand, ebenso wie Ess- und Schlafstörungen.
Das ADHS-Gehirn ist vom neurotypischen Gehirn verschieden, aber inzwischen ist klar: Es gibt keine „Normalperson“. Statt uns an ein Ideal zu klammern, können wir lernen, Unterschiede zu akzeptieren und zu schätzen. Wer den Verdacht hat, ADHS zu haben, sollte eine medizinische Fachperson für eine Abklärung aufsuchen.
Es gibt vieles, was den Alltag mit ADHS erleichtern kann:
Vereinfachen und strukturieren. Wenn alltägliche Aufgaben zu viel Kraft kosten, reduziere und automatisiere, wo es geht: Lege z. B. Einkaufs- und Rechnungsroutinen fest, bestelle jede Woche online Lebensmittel, platziere wichtige Dinge griffbereit und räume sie immer am selben Ort wieder weg. Wähle Dinge aus, die wenig Pflege brauchen – pflegeleichte Kleidung oder Bettwäsche, sukkulente Pflanzen, haltbare Lebensmittel für die Grundversorgung. Ein Saugroboter oder Slowcooker kann den Haushalt erleichtern.
Ablenkungen einschränken: Schalte Benachrichtigungen am Handy aus, melde überflüssige Newsletter ab, höre White-Noise oder spezielle Konzentrationsmusik während der Arbeit.
Bewegung. Körperliche Aktivität hilft, Stress abzubauen und innere Unruhe zu reduzieren. Schon 20 bis 30 Minuten Bewegung können reichen, um die Dopaminproduktion anzukurbeln und produktiv zu bleiben. Viele lernen, Pausen ganz gezielt einzusetzen, um neue Energie zu tanken.
Ernährungs- und Alltagsroutinen optimieren, um die Auswirkungen von ADHS abzumildern. Vielen hilft eine kohlenhydratarme, zuckerarme Ernährung. Nicht selten können Betroffene Gluten und / oder das Milcheiweiß Casein nur schlecht verdauen.
Tägliche Planer nutzen, um Aufgaben im Blick zu behalten und nach Priorität zu ordnen. So bleibt Wichtiges im Fokus und wird rechtzeitig erledigt. Für kleine Erfolge lohnt es sich, auch weniger wichtige Aufgaben abzuhaken. Aber Vorsicht vor Beschäftigungsfalle!
Große Aufgaben in kleine Schritte teilen und jeweils nur einen Schritt fest einplanen. Setze dir z. B. 10 Minuten zum Wäschefalten. Nutze einen Timer. Danach: Halte kurz inne und wertschätze, was du geschafft hast – auch wenn noch nicht alles fertig ist, bist du weiter als vorher. Vielleicht kannst du den Timer noch einmal stellen oder zu etwas anderem wechseln. Probiere die „Pomodoro-Technik“.
Die eigenen Grenzen achten und sich Gutes tun. Rückschläge sind menschlich und sagen nichts über deinen Wert. Individuelle oder Gruppentherapie hilft, Muster zu erkennen und passende Strategien zu entwickeln. Auch kleine Achtsamkeitsübungen können helfen, wahrzunehmen, was im Moment gebraucht wird: sich zu strecken, Wasser zu trinken, eine Frage zu beantworten, damit es weitergeht.
Verschreibungspflichtige Medikamente können ADHS-Symptome oft deutlich lindern. Viele berichten, dass ihr Leben durch gut eingestellte Medikamente leichter wird. Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien können Fokus und Motivation verbessern. Häufig wird Antidepressiva auch gegen begleitende Depressionen und Ängste eingesetzt.
Das Leben ist dynamisch. Symptome können sich verändern, Routinen ebenso – und Anpassungen sind immer möglich.
ADHS bleibt meist ein lebenslanger Begleiter, doch mit einer Diagnose und Unterstützung lässt sich das Leben aktiv gestalten. Viele erfolgreiche Gründerinnen berichten von ADHS: Der Drang nach Neuem und Abneigung gegen Routinen kann zur Innovationsquelle werden.
Doch ADHS ist (leider) keine „Superkraft“, sondern eine Herausforderung, die es schwer macht, das eigene Leben zu organisieren – selbst wenn äußerlich alles normal scheint.
Die gute Nachricht: Immer mehr Menschen erkennen, wie häufig ADHS ist – und dass es Hilfe gibt. Der erste Schritt bleibt: sich selbst diese Hilfe wert zu sein, jeden Tag aufs Neue.
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