Psychische Gesundheit ist ein Thema, über das viele von uns immer noch nur ungern offen sprechen. Laut einigen Studien lebt jedoch weltweit jede vierte Person zu jedem Zeitpunkt mit irgendeiner Form einer psychischen Erkrankung. In diesem Artikel beleuchten wir die bipolare Störung und was es bedeutet, mit ihr zu leben.
Die bipolare Störung, früher als manisch-depressive Erkrankung bezeichnet, ist eine ernste Erkrankung, die dazu führt, dass eine Person belastende Veränderungen in ihren Gemütszuständen erlebt. Manchmal wird der Begriff benutzt, um jemanden zu beschreiben, der Stimmungsschwankungen hat. Wir alle haben gute und schlechte Tage, aber unsere Gefühle lassen sich meist durch Lebensereignisse oder Hormonzyklen erklären. Die bipolare Störung geht weit darüber hinaus.
Eine Person mit bipolarer Störung (BS) erlebt drastische Schwankungen zwischen extremen emotionalen Zuständen – von manischen Episoden, in denen sie sich euphorisch, impulsiv und voller Energie fühlt, bis hin zu tiefen depressiven Perioden, geprägt von Selbsthass und völliger Energielosigkeit, kann zwischen den Episoden aber auch symptomfrei sein. Die Störung tritt meist zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr erstmals auf, das ist jedoch nicht immer zwingend der Fall. Schätzungsweise 46 Millionen Menschen weltweit leben mit einer bipolaren Störung, die nicht nur das Leben der Betroffenen destabilisiert, sondern oft auch das Umfeld beeinflusst.
Viele Frauen mit BS haben Schwierigkeiten, ihren Alltag zu bewältigen und ihren Verpflichtungen in Beruf und Beziehungen nachzukommen. Schwere Depressionen können zu suizidalem Verhalten führen, während manische Episoden das Risiko für impulsives Verhalten wie übermäßiges Geldausgeben, Promiskuität oder Substanzkonsum erhöhen. 17 % der Betroffenen unternehmen einen Suizidversuch, und bis zu 60 % entwickeln eine Substanzabhängigkeit. Es handelt sich um eine komplexe Erkrankung, die Behandlung und erhebliche Lebensstiländerungen erfordert – aber es ist möglich, sie zu bewältigen und ein gesundes, erfüllendes Leben mit befriedigenden Arbeits- und Familienbeziehungen zu führen.
Bei der Diagnose jeglicher Erkrankung stehen Ärztinnen und Therapeutinnen vor der Herausforderung, das Problem ihrer Patientin von anderen möglichen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen. Aufgrund ihres episodischen Charakters kann die bipolare Störung einige Zeit zur korrekten Diagnose in Anspruch nehmen, da das gesamte Symptom-Bild erst mit der Zeit sichtbar wird.
Obwohl Informationen heute freier als früher zugänglich sind, bestehen weiterhin kulturelle und kontextuelle Unterschiede, sodass Diagnosekriterien und Begriffe variieren können. In den USA nutzen Therapeutinnen die Diagnosekriterien der 5. und aktuellsten Ausgabe des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM-5) der American Psychiatric Association.
Gemäß dem DSM-5 muss eine Person, damit eine bipolare Störung Typ 1 – die schwerste Form der Erkrankung – diagnostiziert werden kann, mindestens eine manische Episode erlebt haben, mit Symptomen an den meisten Tagen, fast den ganzen Tag, für mindestens eine Woche sowie mindestens eine schwere depressive Episode, die mindestens zwei Wochen andauert.
Manie ist definiert als eine Phase von ungewöhnlich gehobener, expansiver oder gereizter Stimmung mit mindestens drei der folgenden Symptome, die eine deutliche Verhaltensänderung darstellen, erheblichen Leidensdruck verursachen oder das Leben in mehreren Bereichen stark beeinträchtigen und nicht besser durch eine andere Erkrankung oder Substanz erklärt werden können.
Hypomanie beinhaltet dieselben Symptome, diese müssen aber nur vier Tage andauern und beeinträchtigen den Alltag weniger stark.
Eine schwere depressive Episode ist eine Phase von mindestens zwei Wochen, geprägt von depressiver Stimmung, Interessenverlust oder Freudlosigkeit und mindestens fünf der folgenden Symptome, die nahezu den ganzen Tag, fast jeden Tag auftreten und nicht auf eine andere Erkrankung oder Substanz zurückzuführen sind:
Viele Therapeutinnen sehen die bipolare Störung heute als Spektrum mit Unterkategorien. Intensität, Dauer und Komplexität der Symptome werden durch Persönlichkeit, familiären Hintergrund, Situation, Alter und andere Faktoren beeinflusst. Die jeweilige Diagnosekategorie beeinflusst die Therapieentscheidung.
Neben den genannten Symptomen kann eine Frau während einer schweren manischen oder depressiven Episode auch Symptome einer Psychose erleben. Diese können Halluzinationen oder Wahnvorstellungen sein, die keine Grundlage in der Realität haben. Eine Halluzination ist keine Fehlwahrnehmung, sondern eine Sinneserfahrung von etwas, das nicht wirklich existiert. In der Psychiatrie kommen am häufigsten optische und akustische Halluzinationen vor. Eine Wahnvorstellung ist ein dauerhaftes, falsches, „festes“ Glaubenssystem, das oft ein spezielles Thema hat wie Verfolgungs- oder Größenwahn.
Psychotische Wahnvorstellungen können sowohl in manischen als auch in depressiven Phasen auftreten. Bei Depressionen überwiegt meist ein nihilistischer Wahn: Nichts scheint Bedeutung zu haben, man verspürt Sinnlosigkeit und könnte ebenso wenig existieren. Solche Überzeugungen können zu lebensbedrohlichem Verhalten bis hin zum Suizid führen. In manischen Episoden tritt häufig ein Größenwahn auf. Die Betroffene glaubt, im Zentrum der Ereignisse zu stehen. Für sie sind diese Überzeugungen keine bloßen Ideen, sondern unumstößliche Fakten. Meist verschwinden sie mit dem Abklingen der Episode, manchmal ist aber medizinische Hilfe notwendig.
Psychische Erkrankungen und Stimmungsschwankungen können viele verschiedene Ursachen haben. Die Symptome folgen einem allgemeinen Muster, aber jede Frau hat ihre eigene Geschichte. Rund 80 % der Betroffenen haben die Neigung zur bipolaren Störung von einem oder beiden Elternteilen geerbt. Traumatische Erlebnisse – wie Missbrauch, schwere Erkrankungen oder sexuelle Gewalt – können eine BS auslösen oder verschlimmern. Weitere Faktoren sind zu geringe Mengen an Neuropeptiden und Neurotransmittern, hormonelle Schwankungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Schädigungen im limbischen System – und viele andere. Obwohl die Erkrankung meist in der Jugend beginnt, bleibt sie bei vielen Betroffenen bis ins Erwachsenenalter unerkannt. Grund hierfür sind die wechselhafte Symptomatik, Schuld- und Schamgefühle sowie die gesellschaftliche Stigmatisierung – all das hält Betroffene oft davon ab, über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Sowohl Frauen als auch Männer sind ähnlich häufig von BS betroffen, doch Frauen fallen deutlich häufiger in die Kategorie Bipolar 2. Sie erleben zudem öfter depressive Phasen, Mischphasen und Rapid Cycling (schneller Wechsel der Stimmungslage) als Männer. Männer zeigen meist zuerst Manie, Frauen hingegen eher Depression. Frauen werden oft zunächst mit unipolarer Depression falsch diagnostiziert, was die Entwicklung einer passenden Behandlung verzögern kann.
Viele Frauen mit BS stellen fest, dass hormonelle Veränderungen während Menstruation, Schwangerschaft und Perimenopause ihre Symptome verstärken. Sie erleben auch häufiger Begleiterkrankungen wie Migräne, Übergewicht und Schilddrüsenfunktionsstörungen. Frauen mit BS sind deutlich häufiger als Männer von spät beginnender BS betroffen, die oft mit der Perimenopause zusammenfällt. Frauen erleben häufiger sexuelle Gewalt und sind bis zum erfolgreichen Management der Erkrankung einem erhöhten Risiko dafür ausgesetzt. Unterschiede in der Symptomatik und der individuellen Erfahrung müssen bei der Entwicklung eines Therapieplans einbezogen werden.
Die bipolare Störung kann sehr einschränkend sein. Wer häufig Episoden erlebt, kann möglicherweise keinen Beruf ausüben, keine stabilen Beziehungen pflegen oder sich nicht ausreichend um die eigene Gesundheit kümmern. Selbstschädigendes Verhalten (wie Drogenkonsum oder Impulsivität) und Suizidversuche sind möglich. Das Leben im Bann starker Emotionen, die sich nicht regulieren lassen, ist eine enorme Belastung und führt zu Scham- und Isolationsgefühlen, die es wiederum erschweren, Hilfe zu suchen.
Personen ohne Erfahrung mit psychischer Gesundheit neigen dazu, zu urteilen oder die Krankheit zu verharmlosen. Auch gut gemeinte, aber nicht fachkundige Hilfe kann kontraproduktiv sein, weil häufig das Verständnis für die Erkrankung fehlt.
Trotzdem lernen viele Frauen, die an einer bipolaren Störung leiden, ihre Erkrankung zu bewältigen und führen ein gesundes, glückliches und erfülltes Leben. Bildung, Unterstützungsangebote und das konsequente Umsetzen wirksamer Strategien sind der Schlüssel für Erleichterung und einen einfachen Alltag.
Einige Künstlerinnen und Prominente schreiben ihre Kreativität manischen Phasen zu – doch der Preis dafür kann hoch sein. Offen sprechende Persönlichkeiten, insbesondere Stephen Fry oder Mariah Carey, tragen entscheidend zur Entstigmatisierung der Erkrankung bei.
Der erste Schritt ist die korrekte Diagnose. Wenn du selbst oder jemand, den du kennst, Symptome zeigt wie oben beschrieben, nimm dir Zeit, eine Therapeutin zu finden, bei der du dich wohlfühlst. Nicht jede Therapeutin passt zu jeder Patientin, aber mit Geduld findest du Hilfe. Selbstdiagnose – vor allem bei psychischen Erkrankungen – kann irreführend sein und wertvolle Zeit kosten. Wir konstruieren gerne Erklärungen für unser Leben, besonders in Phasen der Krise. Eine erfahrene Therapeutin kann Zusammenhänge deutlich schneller erkennbar machen und dir einen gezielten Start in den Umgang mit deiner Erkrankung ermöglichen, als du es allein schaffen würdest.
Nach der Diagnose stimmt die Therapeutin die Behandlung – oft in Zusammenarbeit mit einer Fachärztin für Psychiatrie – individuell ab. Das können ein Antidepressivum, ein Stimmungsstabilisator, ein Antipsychotikum oder eine Kombination sein, je nachdem. Die alte Theorie, dass psychische Probleme allein auf einem chemischen Ungleichgewicht im Gehirn beruhen, verliert jedoch an Akzeptanz. Neue Studien zeigen, dass Antidepressiva nur etwa bei 30 % der Patientinnen wirken und mitunter starke Nebenwirkungen auslösen. Wenn sie helfen, ist die Verbesserung oft deutlich. Falls nicht, können andere Ansätze wie Elektrokrampftherapie, transkranielle Magnetstimulation oder psychedelische Therapien unterstützend wirken.
Ein weiterer Grundpfeiler der Behandlung ist die Psychotherapie, vor allem in Kombination mit einer passenden Medikation. Besonders hilfreich können die Kognitive Verhaltenstherapie, Dialektisch-Behaviorale Therapie, Familienfokussierte Therapie, Interpersonelle und Soziale Rhythmus-Therapie oder Gruppenpsychotherapie sein. Zu wissen, dass man nicht allein ist, hilft, sich geerdeter zu fühlen. Die Gruppe kann Resonanz, Realitätssinn und Unterstützung bieten, die dir hilft, die Behandlung durchzuhalten.
Natürlich profitieren alle – insbesondere erkrankte Frauen – von einer ausgewogenen Ernährung, regelmäßiger Bewegung, Stressabbau und guter Schlafhygiene.
Die mediterrane Ernährung scheint besonders günstig für Frauen mit BS zu sein. Pflanzliche Inhaltsstoffe und Bioflavonoide unterstützen die Gehirnfunktionen. Omega-3-Fettsäuren, Kurkuma und Magnesium können die Dopaminproduktion fördern, während L-Tryptophan und 5-HTP den Serotoninspiegel erhöhen.
Alkohol oder Drogenkonsum können kurzfristig starke Emotionen betäuben, langfristig verschlimmern sie jedoch die Symptome. Reduziere oder vermeide sie am besten ganz, um schneller voranzukommen.
Ein Minimum von 150 Minuten moderatem Sport pro Woche (z. B. zügiges Gehen) ist leicht erreichbar – das sind gut 20 Minuten am Tag. Gerade in dunklen Phasen kann schon ein kurzes Aktivwerden helfen – wenn es dir wieder besser geht, steigere dich langsam.
Wenn du (oder eine Bekannte) mit einer bipolaren Störung diagnostiziert wurdest oder einen Verdacht hast, verliere nicht den Mut. Du bist nicht allein und es gibt Wege, deine Situation zu verbessern. Der wichtigste Schritt: Suche dir zuerst eine Person deines Vertrauens und beginne, offen über deine Erfahrungen zu sprechen – alles andere entwickelt sich nach und nach.
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