Wir alle haben Tage, an denen wir uns nicht ganz zu Hause in unserem Körper fühlen. Gesellschaftliche Schönheitsideale, Druck durch die Medien und Werbungen aus der Fitness- und Schönheitsbranche können unser Selbstbewusstsein negativ beeinflussen. Die extremste Ausprägung einer negativen Körperwahrnehmung nennt man Körperdysmorphe Störung, kurz KDS. Egal wie wir zu unserem Körper stehen, diese Beziehung lässt sich verbessern. Es ist möglich, sich von der KDS zu erholen.
Die Körperdysmorphe Störung, früher auch als Körperdysmorphie bezeichnet, ist eine chronische psychische Erkrankung, die von einer medizinischen Fachperson diagnostiziert werden kann. Menschen mit KDS beschäftigen sich zwanghaft mit vermeintlichen „Makeln“ ihres Aussehens – Eigenschaften, die für andere meist kaum oder gar nicht auffällig sind.
Klingt das vertraut? Machst du dir ständig Sorgen um dein Aussehen? Bis zu einem gewissen Grad tun das alle Menschen. Doch einige von uns – laut Schätzungen etwa 1 von 50 – investieren unverhältnismäßig viel Zeit in die Sorge um ihr Aussehen.
Wenn du jedes Mal, wenn du dich im Spiegel oder auf Fotos siehst, sofort nach dem einen Aspekt suchst, den du an deinem Körper nicht ausstehen kannst – die Form deiner Nase, dein Doppelkinn, deine Haare oder Körperbehaarung, die Form deiner Brüste, die generelle Form und Größe deines Körpers oder etwas anderes –, könnte dies ein Hinweis auf eine Körperdysmorphe Störung sein. KDS betrifft sowohl Frauen als auch Männer in etwa gleichem Maße und tritt besonders häufig im Jugendalter und bei jungen Erwachsenen auf, wobei jedoch vermutlich andere Altersgruppen unterdiagnostiziert sind und still mit der Störung leben.
Menschen mit KDS verbringen Stunden damit, sich über ihr Aussehen Gedanken zu machen und versuchen, es zu verbessern. Sie vergleichen ihren Körper mit Bildern aus den Sozialen Medien, suchen bei anderen nach Bestätigung und geben in manchen Fällen viel Geld für Schönheitsbehandlungen oder plastische Chirurgie aus – in der Hoffnung, dies könne sie „reparieren“. Einige Betroffene betrachten sich ständig im Spiegel, andere vermeiden Spiegel oder Fotos konsequent. Sie verfallen zwanghaften, sich wiederholenden Verhaltensweisen rund um das Aussehen (wie exzessive Körperpflege oder das Verbergen bestimmter Körperpartien) und erleben häufig starke, aufdringliche Gedanken rund um ihr Aussehen und die vermutete Wahrnehmung durch andere. KDS ist keine gewöhnliche Unsicherheit, sondern eine negative Besessenheit, die erheblichen Stress und psychische Belastung verursacht, das Wohlbefinden raubt und die Fähigkeit, ein gesundes Leben zu führen, beeinträchtigt.
Eine betroffene Person könnte Einladungen zu sozialen Ereignissen ablehnen, aus Angst, wegen ihres Aussehens verspottet zu werden; schon eine kleinste Makel wird als „schwerwiegender Defekt“ empfunden und als Beweis gesehen, dass der gesamte Körper „hässlich“ und „unwürdig“ ist. Ein typisches Merkmal der KDS ist die ständige Angst vor äußerer Bewertung, gepaart mit dem starken Bedürfnis nach Anerkennung von außen.
Wie die meisten psychischen Erkrankungen kann die Körperdysmorphe Störung viele Ursachen haben; meist gibt es eine Kombination aus Umweltfaktoren (z. B. Mobbing-Erfahrungen), psychologischen (z. B. negatives Selbstbild, geringes Selbstwertgefühl) und biologischen (z. B. genetische Veranlagung) Hintergründen.
Persönliche oder familiäre Vorbelastungen mit zwanghaften Störungen, Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen sowie Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus begünstigen die Entwicklung einer KDS. Mobbing und Gruppenzwang, auf eine bestimmte Weise auszusehen, spielen oft eine entscheidende Rolle.
Ist das zwanghafte Denken bei der KDS mit dem Körpergewicht verbunden, besteht ein erhöhtes Risiko, zusätzlich eine Essstörung zu entwickeln, denn auch diese stehen oft mit ähnlicher Tendenz zu Angst, negativem Selbstbild und Perfektionismus in Zusammenhang. Bei der KDS steht aber häufig ein konkretes Körperteil im Fokus, das als besonders unattraktiv empfunden wird.
Die gute Nachricht: KDS ist mit professioneller Unterstützung behandelbar. Dennoch vermeiden viele Betroffene, Hilfe zu suchen – entweder weil sie ihr eigenes zwanghaftes Verhalten nicht erkennen oder weil sie Angst davor haben, wegen eines scheinbar „unwichtigen“ Problems erneut verspottet zu werden.
Wichtig zu wissen ist, dass KDS meist gemeinsam mit anderen Störungen wie Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen oder PTBS auftritt. Eine Fachfrau oder ein Fachmann kann dich dabei unterstützen, auch die tieferliegenden Probleme anzugehen und dich auf deinem Weg zu mehr Gesundheit begleiten.
KDS ist eine chronische Erkrankung. Das bedeutet, die Behandlung braucht Zeit – meist eine Kombination aus verschiedenen Therapieansätzen und Veränderungen im Alltag, eventuell auch mehrere Therapeutinnen. Sei nicht entmutigt, wenn die Besserung auf sich warten lässt. Habe Geduld mit dir und arbeite aktiv an deiner Entwicklung.
Eine der bewährtesten Behandlungsformen bei KDS ist die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Lizenzierte KVT-Therapeutinnen helfen Betroffenen, negative Denkmuster und irrationale Verhaltensweisen zu erkennen und praktische Lösungen zu finden, um diese Gedanken im Alltag durch hilfreiche zu ersetzen. Die KVT muss nicht unbedingt die Ursachen alter seelischer Verletzungen aufdecken, bietet aber realistische Werkzeuge, um mit den Einschränkungen umzugehen und diese vielleicht sogar zu überwinden.
In schwereren Fällen kann auch eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein. Bestehende Depressionen und Ängste lassen sich mit Antidepressiva behandeln; sogenannte SSRIs (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) helfen häufig gegen Zwangshandlungen und aufdringliche Gedanken. SSRIs bewirken, dass das körpereigene Serotonin länger verfügbar bleibt, denn bei Erkrankungen wie Depression oder KDS werden niedrigere Serotoninspiegel im Gehirn beobachtet. SSRIs gelten als sicher und lindern nachweislich die Symptome von KDS und Zwangsstörungen.
Auch der Austausch mit anderen Betroffenen kann hilfreich sein. Es gibt vielerorts und online Selbsthilfegruppen für die Körperdysmorphe Störung. Eine Teilnahme hat viele positive Effekte: Sie nimmt der Erfahrung das Stigma, hilft beim besseren Verstehen der eigenen Verhaltensweisen und bietet Unterstützung sowie Ermutigung.
KDS ist besonders häufig bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Diese Störung ist ernst und kann schwerwiegende Folgen haben. Eine frühzeitige Intervention ist sehr wirksam, um das Fortschreiten der Symptomatik zu verhindern. Wenn du Anzeichen von KDS bei jungen Menschen (oder anderen) in deinem Umfeld bemerkst, ignoriere sie nicht. Sei verständnisvoll und biete Unterstützung an – sei aber auch darauf vorbereitet, dass dieses Angebot abgelehnt wird. Wenn du jemandem begegnest, der wirklich mit sich kämpft, höre aktiv zu und akzeptiere ihre Gefühle, auch wenn du sie nicht nachvollziehen kannst. Unterstütze sie dabei, Therapieangebote oder eine Selbsthilfegruppe zu finden, und stehe ihnen bei den eigenen Strategien zur Selbstfürsorge zur Seite. Erkenne kleine Fortschritte und beobachte, was bei ihnen zwanghafte Gedanken auslöst. „Halte Raum“ für sie, wenn du kannst, und unterstütze sie praktisch.
Wähle deine Worte mit Bedacht und verzichte auf Kommentare zu bestimmten Körperteilen. Auch wenn es gut gemeint ist – Verharmlosungen ihrer Sorgen führen meist zum Gegenteil. Sätze wie „Ach komm, der Leberfleck/Bauchansatz/krumme Nase ist doch nicht schlimm“ fordern von jemandem, der die Angst gerade nicht steuern kann, so zu tun, als sei alles in Ordnung – und lenken zusätzlich die Aufmerksamkeit auf das Körperteil, das sowieso im Fokus steht. Sozialer Druck ist einer der Hauptgründe für körperbildbezogene Störungen – du solltest diesen Druck nicht zusätzlich verstärken.
Menschen, die besessen auf vermeintliche Makel fixiert sind, träumen oft von plastischer Chirurgie. Die moderne plastische Chirurgie macht vieles möglich, was früher undenkbar war, entfernt fast spurlos Spuren von Verletzungen, Krankheiten oder Operationen, kann das Kinn, die Brust oder das Gesäß verändern.
Doch das eigentliche Problem bei KDS ist nicht das „unästhetische“ Körperteil – sondern die negative Fixierung, das geringe Selbstwertgefühl, aufdringliche Gedanken und die vielen Stunden an Stress, die die Erkrankung kostet. Expertinnen sind sich einig, dass plastische Chirurgie keine sinnvolle Therapie für psychische Störungen ist und für eine zwanghafte Psyche sogar gefährliche Folgen haben kann. Körperliche Veränderungen werden angeschlagenes Selbstbewusstsein selten heilen oder zwanghaftes Verhalten stoppen. Viel eher wird eine Betroffene immer weiter nach „Makeln“ suchen, die sie „korrigieren“ lassen möchte.
Falls du keine Diagnose hast, aber starke negative Gefühle gegenüber deinem Aussehen spürst, hier einige Tipps, wie du deine Beziehung zu deinem Körper heilen kannst:
In den letzten Jahrzehnten hat in vielen Regionen der Welt ein Wandel stattgefunden: Wir haben gelernt, einander mehr Verständnis entgegenzubringen. Jede und jeder von uns kann dazu beitragen, indem wir Akzeptanz für die Menschen um uns und auch für uns selbst üben. So gestalten wir eine bessere Zukunft – für uns und kommende Generationen.
Die Angst vor dem Anderen, Hass auf alles, was fremd wirkt – etwa ein anderer Körpertyp, Hautfarbe, Fähigkeiten oder Behinderungen, die nicht den gesellschaftlichen Vorgaben entsprechen – sollte unter mitfühlenden Menschen im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr haben. Wir können uns dagegen wappnen, willkürliche Ideale zu übernehmen, die letztlich nur dazu dienen, uns Produkte und Ideologien zu verkaufen.
Kultiviere Mitgefühl für dich selbst und sei freundlich zu anderen – du ziehst dadurch Menschen an, die das Gleiche tun. Feiere dich selbst, deine Schönheit und deine Unvollkommenheiten, Schatten und Licht – niemand ist wie du, und deine Einzigartigkeit ist wichtig für diese Welt! Scheue dich nicht, Hilfe zu suchen: Wir alle brauchen sie manchmal. Wir glauben an dich!
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